Verbotene Zone 1
Das Beste aus dem Blog
Rund zehn Jahre - von 2012 bis 2021 - habe ich den Blog Verbotene Zone geschrieben, den Du an dieser Stelle finden kannst. Es sind interessante Texte dabei und weniger interessante. Nun veröffentliche ich hier Auszüge aus dem Projekt; ich hoffe, ich habe nur die interessanten Texte ausgewählt.
Florian Voß, Berlin im März 2025
Die Denkerfalten auf der Stirn werden in den letzten Jahren nicht zahlreicher ... denkst halt nicht mehr nach, weißt schon alles.
Gestern stand ich vor den Ramschtischen Hugendubels. "Bitterstoffe" war nicht auf diesem Schandplatz zu finden, obwohl ich es erwartet habe. Vorletzte Woche hatte ich die Ankündigung meines
früheren Verlags bekommen: Voß, sie werden verramscht.
Immerhin können dann jetzt mehr und mehr Leser meinen ersten Roman kaufen & lesen - werden sich den Titel grapschen. Die Frage ist nur noch: 2.99 oder 1.99?
Untergang des Romanischen Imperiums.
Aber was werden jene Exemplare ohne Remittenden-Stempel wert sein, in hundert, zweihundert Jahren?
Gestern eine römische Münze bei ebay ersteigert. (Vermutlich) Constantius II - jahrzehntelang Kaiser des späten römischen Reichs, somit sind seine Bronzemünzen Massenware, werden einem heut noch
nachgeworfen. Ein schönes Porträt zu sieben Euro. Rund 16oo Jahre alt. 50 Generationen. Kaum eine größere Party, würden sie alle in einem Saal stehen und saufen. Dennoch: 16oo Jahre. Äonen. Irreale
Zeit. Schon in spätestens zwei Generationen werde ich Staub sein, und Seele, wenn das Universum verspricht, wonach es aussieht. (Die Sterne, Sternstraßen, die Galaxien und Galaxienhaufen, die Cluster
von Galaxienhaufen - und ich unter einem anscheinend festen Himmelsdach, nahe einer Sonne auf dem Seitenarm-Ende einer abseitigen Galaxie).
Dann der Gedanke: vielleicht haben ja beide recht, die Theisten und die Atheisten... .. . Es wird gestorben, es verlischt, aber im letzten Moment, so zusammen geschrumpft wie ein (.) - dort gischtet
das Leben an der Wand des Todes auf, verteilt sich ins Unendliche, wie eine überlichtschnelle Öllache auf dem schwarzen Asphalt des Sterbemoments, hinter dem nichts mehr kommt. Sozusagen der Tod als
zeitverzögernde Droge.
Dann noch eine mir unbestimmbare griechische Münze mit einem Frauenporträt - schön so alte Dinge zu besitzen, so tote Frauen. Ich werde die beiden Münzen lose in der Hosentasche tragen, zwischen den
Euro- und Centstücken. Vielleicht mische ich noch ein paar Mark drunter.
Von Mark gesprochen: seltsam wie viele Jahrhunderte das grundlegende Design des deutschen Geldes überdauert hat. Ein Scheidepfenning von 1742 sieht kaum anders aus als eine D-Mark.
Dann kam der Euro und eine völlig neue Ästethik. (Ich hätte ja vorgezogen, wenn das neue Geld TALER oder FRANKEN oder GULDEN gehießen hätte).
Gerade las ich in der Morgenpost – die ich ab und an aus der Altstofftonne stehle – das ein deutscher Zahnarzt ins All fliegen wird. Im Jahr 2014 will das sich in Gründung befindende Raumfahrtunternehmen Space Expedition Curaçao den 39jährigen für knapp 70.000 Euro in den Weltenraum schießen.
(Und nun lese ich gerade, dass Kafka die Lasker-Schüler nicht ausstehen konnte, weder als Person, noch als Dichterin. Zitat von Franz: "Ich kann ihre Gedichte nicht leiden".
Mir ja auch immer ein völliges Rätsel geblieben, warum fast alle die Else gut finden. Nicht nur das halbgebildete Lehrer-Publikum (und ähnliche Mollusken), sondern größtenteils auch die
zeitgenössischen Dichter. Ich höre immer wieder den einen oder die andere schwärmen. In Wirklichkeit sind Else Lasker-Schülers Zeilen aber: ein selbstgefälliges, sich blähendes, mit falschen Gefühlen
überzuckertes Geschreibe. Kindisch, pseudoexotisch, wenig ernsthaft oder tiefgründig.
Leichte Kost für die Art von Massen, die nach den bohemehaften, exaltierten Dichtern sucht.)
Stattdessen die Vita des Herrn Kafkas ab dem Jahre 1922:
Nachdem im Dezember 1922 an der Charité in Berlin das Penicillin durch Alfred Grotjahn entdeckt wurde, begab sich Franz Kafka dort unverzüglich in Behandlung. Im Zeitraum der Therapie lebte Kafka mit
seiner Freundin Dora Diamant in der Grunewaldstraße 13 (Steglitz).
Nach seiner vollständigen Genesung zog er zurück zu seinen Eltern nach Prag. Da er dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen war, arbeitete er nur noch halbtags in der
Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt und konzentrierte sich auf sein Schreiben. 1930 erschien dann sein achtzigseitiger Kurzroman "Vor der Verhandlung" bei Ernst Rowohlt Berlin.
Im darauf folgenden Jahr zog Kafka, nach dem Tod seines Vaters, erneut nach Berlin, wo er sich auch seiner ehemaligen Geliebten Dora Diamant wieder annäherte. Die nächsten Monate wohnten die beiden
in der Cranachstraße 5 in Neu-Friedenau, bevor sie sich gemeinsam mit Kafkas Freund Max Brod nach Palästina einschifften. Dieser Entschluss wurde nicht zuletzt durch den erstarkenden Antisemitismus
in der Reichshauptstadt begünstigt.
In Palästina angekommen, lebten die Drei die Zeit bis zum Kriegsausbruch in dem Kibbuz Bet Sera. Kafka arbeitete nebenher als Filmkritiker für deutsche Emigrantenzeitungen und veröffentlichte 1939 -
fünf Tage vor Kriegsausbruch - sein Hauptwerk, den mehr als achthundert Seiten zählenden Roman "Das Schloss" in dem kleinen Tel Aviver Verlag Salman Schocken.
1943 trennte sich Kafka von Dora Diamant und zog nach Jerusalem, wo er bis 1947 die Zeitschrift "Stern und Siegel" herausgab, die eine der wichtigsten Publikationsorte für deutschsprachige
Schriftsteller in der Emigration wurde. Zugleich versank Kafka in tiefe Depressionen, da er über den Verbleib seiner Familie nichts heraus finden konnte. Erst 1946 erfuhr er über Max Brod, dass alle
seine drei Schwestern in der Todesmaschinerie der Nazis umgekommen waren.
Seinen Schwestern setzte er daraufhin ein Denkmal mit dem legendären Spätwerk "Schattenlabyrinth", das Kafka in den Jahren bis 1954 schrieb, und das nach langer Verlagssuche 1957 bei Hanser in
München erschien. Das Buch wurde der Überraschungserfolg der Frankfurter Buchmesse 1957, und Kafka wurde in allen großen Kulturbeilagen eingehend und begeistert als die Wiederentdeckung des
Jahrzehnts besprochen.
Nicht zuletzt diese späte Anerkennung bewog den mittlerweile 74jährigen nach Europa zurückzukehren. Er wohnte die letzten Jahre seines Lebens im Münchener Stadtteil Grunwald in einer
Einlieger-Wohnung der Villa eines wohlhabenden Bekannten.
1962 veröffentlichte Kafka einen letzten Band mit vier späten Erzählungen, und im selben Jahr schrieb er für die FAZ die erste deutschsprachige Kritik über eine Popgruppe, die den Namen "The Beatles"
trug.
Franz Kafka starb im Alter von 81 Jahren am 1. Februar 1964 in München.
In seinem Nachlass fand sich kein einziges unveröffentlichtes Manuskript.a
Der Rest also auf der Müllkippe; das dämpfte meinen Ehrgeiz und meinen Fleiß für einige Jahre, bis ich dann mit Fünfzehn wieder anfing, nachdem ich in der ART einige Bilder von Helmut
Middendorf und Rainer Fetting gesehen hatte. Farbrausch.
In den 90ern lebte ich als Maler in Friedrichshain und Kreuzberg, hatte die eine oder andere Ausstellung, und steckte mit dem Schreiben zurück. Meine Wohnung war mein Atelier und roch nach Terpentin,
Leinöl und Knochenschwarz (ein Geruch wie aus der Gruft). Dazu Nikotin und abgestandener Rotwein (die Flasche für 1 Mark 99).
Ich wurde besser, aber ich wurde niemals wirklich gut. Ich stieß gegen Wände, ich war nicht so gut, wie ich sein wollte, also hängte ich die Palette an den Nagel, kurz nach der Jahrtausendwende. Die
letzten Sachen waren abstrakte Aquarelle (die einzigen eigenen Arbeiten, die noch heute im Flur hängen).
Vorbei das Leben der Boheme, keine trocknenden Bilder an den Wänden, keine Farbspritzer und ausgedrückten Zigarettenkippen auf dem Dielenboden, nur noch Schriftsteller.
Nur noch Schriftsteller, aber was für einer. Nachdem ich das Malen aufgegeben hatte, ging das Leben als Künstler erst richtig los: sechzig, siebzig Gedichte im Jahr, Theaterstücke, Romane. Endlich
keine Wände mehr.
Heutzutage befriedige ich meine Sehnsucht nach bildnerischer Arbeit mit merkwürdigen Computergrafiken und Skulpturen aus LEGO.
Parkplätze haben sowieso immer eine merkwürdige Magie auf mich ausgeübt. Die weite Fläche, die stillen Autos, der große Himmel darüber. Meistens brennt in meiner Erinnerung die Sonne auf den
Asphalt, ich komme mit Freunden aus einem Intermarché, und wir haben die Arme voller Weinflaschen und Zigarettenstangen (eine einzelne Packung Gitanes Mais in der Hosentasche), wir gehen zum
Landrover und werfen einen Haufen Gauloises Blondes und Camel Filter in den Kofferraum, denn die Deutsch-Französische Grenze ist zum Badischen hin recht durchlässig geworden in letzter Zeit.
Oder auf dem Weg nach Berlin, über die Interzonen-Autobahn. Wir biegen mit irgendeinem geliehenen Golf auf den Parkplatz einer Raststätte (aus gelben Klinkersteinen, erbaut vermutlich noch in den
30er Jahren). Einzelne Wartburgs und Trabanten stehen in ordentlichen, aber löchrigen Reihen vor dem Gebäude, die kalte, klare Wintersonne lässt die Luft über der Betonfläche in einer Welle aus Licht
aufschäumen.
Oder der Parkplatz in Scheveningen, direkt an den Dünen. Der feine Sand, der Geruch von Salz, der glänzende Wasserspender am Weg zum Strand. Möwen, Möwen, das Rollen der Dünung. Das Klopfen der
Motoren.