Auszüge aus dem Gedichtband
In Flip-Flops nach Armageddon
(Phantomfliegerschmerzen)
Mors die Neuigkeiten! Fatales
Fatum zeig ich euch geschichts-
vergrindeten Weltwesen – Bürger hört:
Phantomfliegerschmerzen – am Morgen
brummt der Schadeschädel abendrot
Und mir traumbombte gestern Nacht
sich der Weg in den Tiefgaragenschutt frei
„Suchen sie den Schmutzraum auf“
Ich hab' Betonverschalung im Genick
und es nickt mit schwarzem Eisenbauch
die Bombenfratz überm Erdgetümmel
(Ich sah das durch den Bunkerschlitz)
Alle Einkaufstaschen platzen, platschen
wenn die Bettelleute in den Shelter eilen
Zukunftsgesichte ziehen durch die Augenwand
Der Heliumwind der Sonne brach sich
am Nachmittag – Äther, Äther, Sphärenschichten
und jetzt Mugge: da rasselt Gott die Schellen
und die Trompetten schallen eine Wolfsquinte
Es leuchtete der Norden – O, gute Gammastrahlung
Mücken, Fliegen, Kleingetier – Summsumm
ihr Meister pulte sich den Dreck vom Ziegenstiefel
Meine Augen sahen scharf das ultrahelle Violett
des Himmelsknasters, eingeknastet in dem All
Und es wollt´ Abend werden an der Skalitzer
Um acht ging ich ins Prinzenbad:
atomarer Prinz in Schwimmkerl-Badehosen
Durch die Apokalypse glitt ich körperbetont
die X-Ray-Spex auf dem Nasenrücken
Am Tor der Nichtschwimmer-Hölle flatterte
ein Spruchband in Fraktur: Hier Eintopf, Kinder!
Am Kiosk nebenan: Wienerwurst mit Brot und Senf
Schütt Bier in den Schutt, Marke Heldenplatz
Die Vergangenheits-Markierungen
der wurmstichigen Gründerzeitbauten
links und rechts der Prinzenallee-Station
flammten auf im Napalm-Feuer, Freundgefeuer
Das sah ich, ganz betört vom Chlor
und die Funkenmädchen schrien im Chor
„Lass die Welt, die Wurst doch endlich grillen“
Aber an den Obstständen vorm Kotti (schau an, schau an)
noch lebendige Tote mit jodgefüllten Lebern
Stehen Leichen labbrig ledern im lauen Wind
Im Wiegeschritt taumeln wir den Apokalypso mit
Den ganzen Tag Prophezeiungen
quergelesen in den Porno-Magazinen
dann Radio: auch hier kein Weltgericht
Kunde vom Weltkrieg: Fehlanzeige
Auch nichts von den Himmelszeichen
Alles passiv in dem dröhngewaltigen Weltgeschiebe
Heut Nacht platzt ganz bestimmt die Sonne dann
und acht Minuten später verpatzt sie meinen Traum
Bumm, sag ich vollständig durchleuchtet
Dass ich nicht lache, leichenhaft: Bombenbumm
Dass ich nicht leuchte, lachhaft: stumm – O, Radium
Auf der Schwelle
Als ich vom eisigen Wind las
in einem anderen, fremden Gedicht
überkam mich zwischen den Zwischenräumen
meiner Muskeln, in dieser nicht vorhandenen Stelle
die vielleicht unter den Zwischenräumen
meines Körpers liegt, unter der Schwelle des Ichs
da genau überkam mich, obwohl ich die Stelle noch
immer nicht gefunden hatte, da überkam mich endlich
da umwehte mich ein eisiger Wind
Aber der war nur eine Erinnerung, aber der war
klar wie ein Kindermorgen, wie eine Ahnung
meines Kindergehirns, das verweht und ausgelöscht
unter meiner Gedankenschwelle ruhte
ruhen sollte, völlig zerbröselt sein sollte
das ja schon so alt ist, jetzt, und sich nur noch
spiegelt, kalt glitzernd, in den Bewegungen meines Sohns
der im Wind, im Winter durch die kalte Luft segelt
mit einem mir vertrauten Lächeln auf den
vererbten Lippen in dem strahlenden Gesicht
Ich sehe Schnee in einem Licht, das noch nicht
die Falschfarben der alten Erinnerungen angenommen hat
Ich sehe Himmel in verschlissenen Tönungen die
immer changieren in meinem Gesicht das umweht ist
von Schnee in einem Winter unter der Schwelle
meiner Zwischenräume, die ich nicht finden kann
Aber ich spüre sie splittern, so kalt und so gut
(für Tristan)
1880
Rimbaud in Aden
auf einer weit entfernten Landkarte
steht er im wüsten Schnee vor
weißem Sand so negativ
Mit einem proletarischen Gesicht
das in den dunklen Abgrund
der Camera Obscura schaute
Ein Salzabzug für alte Trödler
die Sand zwischen den Zähnen haben
Antike in dem Handelsfleck Harare
Wie dieser Dichter in den Lauf
der verschriftlichten Gewehre schaut
vierzig glimmende Gewehre
in dem schwarzen Haar der Fürstin
Rimbaud schaut in die Ferne
in den glänzend weißen Himmel
In den Knochen kratzt der Krebs
Er gibt den schweren Füßen
Befehl zum Schritt, zum Scheitern
Der blasse Kindermund verzagt
Arthur Rimbaud: sein größtes Werk
sind seine Karabiner
Ich habe sie schon längst gelesen
Ich starre jede Nacht in sie
Fruchtwasser
Ich habe Schrauben in den Himmel gesteckt
und die Rabenmuttern festgedreht
Und die Himmel waren warm und wolkig
ein weicher Schoß von meiner frühen Mutter
die lang und friedlich dämmerte
Das Wetter meiner Kindheit war aus
dünnen Fäden, gehäkelt in die graue Kammer
einer Kleinstadt am Ende meiner Arme
Und nichts war hinter allen Flügelfenstern
die sich nach außen wölbten in den Tag
Ich lag im Schoß von meiner Mutter
und ihr Pullover war so warm wie Schlaf
Die Augen meines Ichs waren müde
und alle Zeit war ausgesprochen fraglos
und warm wie Schlaf war ich
Ich habe Schrauben in die Welt gesteckt
und die warme Erde aufgedeckt
Die Himmel waren blau und gütig
Das Fenster in der Mutter-Kammer
war leicht bedeckt mit Atem-Wasser