SAND
mein bett ist mein schiff und alle träume sind wale
in ihren bäuchen sind schätze, fremde kammern, unter dem
glitzernden wasserspiegel des bewusstseins
und dann die wellen des halbschlafs, die leichte dünung des lichts
das durch die ferngläser der fenster fällt, ein stiller tag
mit unzähligen toten, die noch nichts von ihrem tod wissen
von den krankenstationen und den fieberbetten, den roten
schläuchen der intubation, dem verlangen nach mehr licht
hier sitze ich ausgestreckt dem abend entgegen, schlaftrunken
und versunken in die winterlaken, gehüllt in meinen violetten
bademantel wie ein könig des reiches vergessenheit, ich bade
seit anbeginn der tage im papiermeer, in bedruckten decken
verstecken will ich mich nicht, nur verhüllen, verpuppen
mit meinen gläsernen augen, meinen nickenden schlafaugen
sehe ich nichts und nacht und nagendes gleißen danach
wohin fährt dieses bett, wenn nicht nach hause?
sand in der farbe des sandes
gras in der farbe des grases
himmel in der farbe des himmels
wind in der farbe des windes
… und der himmel darüber voller sonnenlicht
in den kindern steigt das leben wie in einem waschzuber
wie in einem swimming pool oder teich
und die badetiere plätschern auf den wellen der erinnerung
was war ich für ein kind? hatte ich verbrannte hände?
eine rußgefärbte seele, eine stimme?
waren meine augen grasgrün, meine stimme wind?
mein leben trocken wie sand, warm wie der strand?
die sonnenuhr, die sanduhr, der himmel, der wind
zurück in den krieg | es platzen die einkaufstaschen wie träume
wenn die bürger in die bunker eilen | heul doch wie eine sirene
all die kalten, kaltgemachten krieger schnellen durchs ALL auf raketen
in der bildröhre krisselt der schnee, der fallout der nachrichten
mein ICH hat einen koffer und es packt in meinen koffer
eine kerze, ein pflaster, eine puppe aus eisen, kalt wie der tod
ein comic mit enten, eine handvoll brotkrumen, mein ICH
es ruht am ende der straße unter einer decke aus asbest
das dröhnen der jäger im himmel
ihre triebstrahlwerke in den wolken
die angst ist ein wind der den kopf
kleiner macht als eine murmel
der krieg ist dem menschen eingeschrieben
eine botschaft an die tiere: wir gehören
nicht zu euch, zur natur
haben wir einen weg gebaut
damit die panzer fahren zwischen bäumen
zwischenräume füllen wir mit knochen
der krieg buchstabiert sich schon mit
russisch brot, mit runen aus dem buchenwald
mit fingerfarben auf den scheiben der windaugen
wir ergeben uns nicht der grünen hölle
die sich wald nannte, vor dem abholzen der welt
TRAUM
der geruch von kohlenbrand in der kalten luft
von salz und schwarzen holzbalken, ruß und schnee
und ozean liegt über der stadt, die im norden liegt
die in deutschland liegt, die in der kindheit liegt
schneewehen, meterhoch, und das blaulicht
der feuerwehr, die flammen im nebenhaus
und soldaten zwischen den schneewehen
und das eis der straßen, spiegelglatte bahnen
auf denen die alten frauen vorbeigleiten
hier muss niemand gerettet werden
nur im radio von nordmende spricht man
von schwarzen wolken und katastrophenalarm
winter 1978, die soldaten marschieren
mit schneeschaufeln durch die gassen
und die autos stehen wie in einer ölkrise zwischen
meterhohen schneefassaden, hinter denen häuser hocken
in den kanonenrohröfen schweröl oder eierkohlen
oder vergilbte liebesbriefe an das gestern
die baulücken in den häuserzeilen
ausgeschlagen von luftminen, von brandbomben
die lächelnden blindgänger in den verschütteten kellern
die baulücken in den zahnreihen, eingerissen
mit einem zwirnfaden, der an der türklinke hing
das lächeln des kindes, das ich bin, war
die milchzähne, weiß in der pillendose
und schnee auf den straßen, viel schnee, immer mehr schnee
das lückenhafte lächeln, die lücke in diesem bild
auf den eisigen straßen zockeln die männer entlang
dunkle orden im herzen und wenig arme und beine
das wolfsgrinsen der soldaten in der fußgängerzone
verschweigt ihr böses herz, ihre frauen hängen
noch immer an ihren armen und lassen sich ausführen, abführen
die wölfe haben cordhütchen, nicht wehrmachtskappen
auf den ausgekühlten schädeln, über trockenen augen
mit den stumpen zwischen den zähnen
die verbliebene hand kerzengerade in der hosentasche